Sereina zog mich durch verwinkelte Gänge hin zum Speisesaal. Socks sass immer noch auf meiner Schulter und schaute neugierig herum. Er fand das wohl sehr spannend und das Wort „Speisesaal“ hat ihn ziemlich aufhorchen lassen.
Als wir ankamen, sassen an den rechteckigen Tischen Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern, Europäer, Orientalen, Asiaten, ich erkannte sogar Aborigines und Menschen aus Südamerika. Sereina führte mich zu dem einzigen runden Tisch im Raum, um den fünf Stühle angeordnet waren. Sie setzte sich und nickte mir zu, ich sollte mich auch hinsetzen.
Nun gut, ein runder Tisch, alle anderen rechteckig, das war wohl etwas Besonderes, aber ich vertraute Sereina und zog den Stuhl neben ihr zu mir und setze mich hin.
Kaum angekommen tauchte ein wunderschönes blondes junges Mädchen auf und fragte, was wir gerne essen würden. Sereina bestellte Hühnchen und Salat für ihre Schildkröte, die sie aus der Tasche zog. Ich schloss mich an, denn Hühnchen wäre zumindest auch etwas für Socks.
Die blonde Fee verschwand und es dauerte nicht lange, da kam sie mit dem Essen und dem üblichen verdünnten Wein zurück. Was hätte ich für ein Glas kalten frischen Wassers oder einen Tee gegeben! Aber ich seufzte und nahm einen Schluck. Irgendwie hatte ich das Gefühl, in einem leichten Dauerrausch zu sein, aber das war kein Wunder. So müssen sich die Menschen im Mittelalter gefühlt haben… kein trinkbares Wasser, nur dünnes Bier oder verdünnter Wein – im besten Fall.
Immerhin, das Huhn war durchgebraten und schmeckte ganz vernünftig, auch wenn etwas Salz fehlte. Aber so konnte ich Socks etwas davon abgeben und er schnurrte ganz behaglich, als er die Stückchen aus meiner Hand frass.
Wir sassen nicht lange am Tisch, da kam ein junger blonder Mann, etwa in unserem Alter, an den Tisch und setzte sich zu uns. „Ich bin Calvin aus Sapiara“, stellte er sich vor, „Aber alle nennen mich Cal.“ Er hatte etwas gefährliches, raubtierhaftes an sich, das ich nicht einordnen konnte, aber auch eine gewissen Kühle und Unnahbarkeit. Ich lächelte und stelle mich mit Bobbie aus Falkenstein vor. „Falkenstein? Wo soll das denn sein?“ Cal zog die Augenbraue hoch und musterte mich. Ich kann gar nicht sagen, wie unwohl ich mich dabei fühlte…
Doch bevor ich noch antworten konnte, kamen zwei weitere Personen an unseren runden Tisch. Sie wirkten deutlich freundlicher als Cal. „Hallo, ich bin Amir aus Salahara“, stellte sich der dunkeläugige Fremde vor. Er hatte schwarze, gelockte Haare und dunkle Augen. Wenn ich nicht in Tarcania wäre, dann würde ich vermuten, dass er aus Ägypten oder Syrien käme. Auch seine Kleidung war die eines Orientalen und dieser Blick… er hielt mich wie gefangen.
Doch, den Göttern sei es gedankt, die junge Frau stellte sich vor und brach damit den Bann des Moments. „Ich bin Trisha aus Reviri.“, stellte sie sich vor.“ Sie hatte weissblondes Haar und so blaue Augen, wie ich sie noch nie gesehen habe. Sie war in blaue, fliessende Gewänder gekleidet, die ihre engelsgleiche Erscheinung nur betonten.
Beide setzen sich zu uns an den Tisch und die blonde Fee tauchte auf und nahm ihre Bestellung auf, bevor sie wieder verschwand.
Cal ergriff das Wort „Amir aus Salahra, Trisha aus Reviri, ich bin aus Sapiara und woher seid ihr?“, wandte er sich an Sereina und mich. „Ich bin Sereina aus Crescendora, dem nördlichen Königreich, und das ist Bobbie aus Falkenstein.“ „Jaja, das habe ich schon gehört, aber wo liegt dieses Falkenstein?“ fragte Cal. „Wir sitzen am runden Tisch und wie jeder weiss, sitzen hier nur die Pagen aus den Königreichen, die Leonora persönlich ausgewählt hat. Mit dir, Sereina, ist jedes Königreich vertreten. Was will also diese Bobbie hier an unserem Tisch?“ Ich muss sagen, ich war perplex. Ich hatte bisher noch nichts von diesen vier Königreichen gehört und auch nicht, dass Leonora nur vier Schüler aufnahm. Was sollte das hier?
Doch Sereina sprang mir zur Seite. „Fünf Stühle. Fünf Schüler, Cal. Du hast die besondere Ehre, nicht nur mit den Auserwählten der vier Königreiche zu speisen, sondern auch mit Bobbie, die aus der Aussenwelt kommt.“
Cal lachte laut auf. „Aus der Aussenwelt? Sereina, du glaubst wirklich an diese Kindermärchen? Naja, was kann man schon von den Crescendorianern erwarten?“
Sereina sah aus, als ob man ihr einen Kübel mit Eiswasser über den Kopf gekippt hätte und das machte mich wütend. Ich sprang auf und meine Stimme bebte vor Zorn, denn Sereina war meine Freundin – zumindest sah ich sie so. „Wer zum Teufel bis du eigentlich, du arroganter Schnösel? Du weisst gar nichts über mich oder woher ich komme. Du kommst aus Sapiara. Was heisst das schon? Egal, woher du kommst, du hast keine Manieren, du hast keinen Anstand und wenn du das Beste bist, was dein Land hervorbringt und dich hierher schickt, um Leonoras Schüler zu sein, dann will ich mir gar nicht vorstellen, wie engstirnig und verbohrt die Menschen in diesem Land sind.“
Alle starrten mich an, auch Cal, und für ein paar Augenblicke herrschte Schweigen. Socks schnurrte mir ins Ohr „Gut gebrüllt Löwin, ich wusste, warum ich dich ausgesucht habe. Du hast Feuer.“ Fast hätte ich über die Bemerkung gegrinst, aber das hätte meinen Auftritt ruiniert. Also setze ich mich wieder hin und fixierte Cal weiter.
Cals Augen blitzten wütend. „Fünf Stühle, fünf Schüler, so soll es sein, egal, woher du kommst. Ich zweifle nicht an Leonora, aber du wirst dich als würdig erweisen müssen, Bobbie von Falkenstein.“ Er spuckte meinen Namen geradezu aus und ich wollte noch etwas erwidern, doch Sereina hielt meinen Arm und drückte ihn herunter. „Alles gut“, flüsterte sie mir zu, „Ich erkläre dir alles, aber jetzt halte dich zurück. BITTE.“ Ich atmete tief durch und tat Sereina den Gefallen.
Amir und Trisha beobachteten alles, ohne ein Wort zu verlieren oder Partei zu ergreifen. Ich bin sicher, sie haben sich ihre Gedanken gemacht, aber sie liessen sich überhaupt nicht anmerken, was sie dachten. Als die blonde Küchenfee ihr Essen brachte, verzehrten sie es still, aber ich merkte, dass sie immer noch mich und Cal beobachteten.
Nunja, sie wollten wohl nichts überstürzen und nicht zu schnell auf das falsche Pferd setzen. Aber das war mir egal. Mir tat nur Sereina leid, die so übel von Cal beleidigt worden war, weil sie sich für mich eingesetzt hat. Das hatte sie wirklich nicht verdient.
Das weitere Essen verlief sehr still und ohne weitere Zwischenfälle. Als ich fertig war, stand ich auf und nickte Sereina, Amir und Trisha zu, Cal, diesen arroganten Kerl, ignorierte ich. Socks sprang auf meine Schulter und wir verliessen den Speisesaal.
Das konnte ja heiter werden, wenn wir wirklich alle von Leonora persönlich unterrichtet werden sollten. Ich war Mitte zwanzig und eigentlich dachte ich, dass ich das Thema Schule schon hinter mir hätte. Immerhin ging es um Tarot, doch eigentlich wollte ich Abenteuer erleben und neue Kulturen kennenlernen.
Ich erinnerte mich an die Tage damals 1922 in Ägypten. Howard Carter, den mein Vater als anonymer Sponsor unterstützt hat, hatte das Grab von Tut-Anch-Amun entdeckt hat und ich konnte einen Blick hinein werfen.
Das hat in mir dieses Feuer entfacht. Ich wollte einfach mehr wissen, mehr über die Menschen, über ihr Leben, ihre Wünsche, ihre Sehnsüchte, ihre Träume, über das, was sie bewegt, im Leben und darüber hinaus. Und genau das wollte ich auch in Tarcania erfahren, wenn ich schon hier festsass.
Irgendwie fanden meine Füsse den Weg in mein Zimmer und ich wusch mir mein Gesicht mit dem kühlen Wasser aus der Schale. Nachdem ich mich für die Nacht fertig gemacht hatte, wollte ich nur noch in mein Bett. Doch da lag schon Socks, mitten auf der Decke.
Ich würde mich wohl irgendwie um ihn herumwinden müssen. Katzen…. Mit einem Lächeln kroch ich unter die Decke und schlief ein – in der Hoffnung, rechtzeitig aufzuwachen, um nicht Cal wieder einen Grund für Spott und Häme zu liefern.
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