Die Mittagsstunde war bereits verstrichen, als ich Hephon verliess und mich auf den Weg zur Töpferei machte.
Natürlich kannte Socks auch diesen Weg und führte mich durch die Gassen von Tarcania in das Handwerkerviertel. Bis auf die Gerber waren hier die meisten Werkstätten. Ich hörte beim Vorbeigehen das Hämmern der Schuhmacher und Böttcher, das Klappern der Webstühle, das Rattern der Seilwinden und noch andere Geräusche, die ich nicht zuordnen konnte. Ich fühlte mich wie bei einer Zeitreise, denn viele Handwerke, die hier noch lebendig waren, kannte ich nur aus dem Geschichtsunterricht.
Der Duft nach frischem Brot stieg mir in die Nase und ich merkte, wie hungrig ich war. Ich hatte noch ein wenig Geld von Marcus einstecken und holte mir schnell eine Scheibe Brot, die dick mit einer Kräuterpaste bestrichen war. Das Brot war noch warm und die Kräuter rochen nach dem Süden Frankreichs, den ich so liebte. Würde ich je wieder das sanfte Licht der Provence sehen?
Bevor ich melancholisch werden konnte, musste ich mich beeilen, um Socks nicht aus den Augen zu verlieren, denn er wartete natürlich nicht auf mich. Warum auch, er war schliesslich eine Katze und kannte sich aus, während ich mich leicht in diesem Gewirr verloren hätte.
Mit langen Schritten folgte ich ihm, denn obwohl er noch klein war, war er ziemlich schnell. Ich betrat die Werkstatt und sah drei Männer an Töpferscheiben sitzen. Sie waren so in ihre Arbeit vertieft, dass sie mich gar nicht wahrnahmen. Ich beobachtete sie, wie sie geschickt aus einem Klumpen Ton Becher und Karaffen formten. Es hatte durchaus etwas Magisches an sich, wie quasi aus dem Nichts Gefässe entstanden.

Die Wände waren voll mit Brettern, auf denen bereits fertig gebrannte und glasierte Schalen, Becher, Teller, Weinkaraffen und Krüge standen. Die meisten waren einfach in Erdfarben gehalten, aber es gab auch wunderschön verzierte Stücke mit kunstvollen Mustern.
Ich vermutete, dass der älteste Mann der Meister sein musste und sprach ihn an.
Ich räusperte mich, um mich bemerkbar zu machen „Hallo, ich bin Bobbie und Leonora hat mich geschickt, damit ich hier meinen Becher töpfere.“ Die Männer blickten auf und der älteste unter ihnen wies mit dem Kopf nach hinten. Erst jetzt bemerkte ich eine Frau mittleren Alters, die gerade Gefässe sortierte, um sie in Holzwolle zu verpacken und in eine Kiste zu legen.
„Ah, hallo Bobbie, ich bin Mira, die Meisterin dieser Werkstatt,“ begrüsste sie mich. Ich merkte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss.
Ich hielt mich für fortschrittlich, hatte selbst fliegen gelernt und dachte automatisch, dass ein Mann die Werkstatt leiten muss. Mir war das so peinlich und ich stammelte eine Entschuldigung. Mira lächelte warm und meinte „Das muss dir nicht unangenehm sein, das passiert vielen, denn auch in Tarcania sind wir noch nicht soweit, dass es normal ist, dass Frauen Werkstätten leiten oder sogar Gildemeisterinnen sind. Leonora tut viel dafür, aber was sich in vielen Jahrhunderten in den Köpfen festgesetzt hat, ändert sich nicht von heute auf morgen. In deiner Heimat scheint es ja ähnlich zu sein.“ Ich nickte betreten und Mira umarmte mich herzlich.

„Ich hatte dich früher erwartet, denn Leonora hat dir nicht viel Zeit gegeben.“ „Ja, der Besuch bei Hephon und die Auswahl meines Schwertes hat etwas gedauert“, antwortete ich.
Mira lächelte und führte mich zu einer Töpferscheibe. „Setz dich. Hast du schon einmal getöpfert?“ Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste, dass es meine Aufgabe war, einen Becher zu töpfern, aber wie sollte ich das nur anstellen?
Ich seufzte. Eigentlich war ich nicht die Frau, die sich schnell entmutigen lässt. Meine Reisen, das Fliegen, das ist mir auch nicht einfach in den Schoss gefallen. Ich hatte um Anerkennung und Akzeptanz kämpfen müssen. Aber das war Zuhause, in meiner Welt. Auch wenn ich es gewohnt war, mich schnell an fremde Kulturen anzupassen, gerade wenn ich unterwegs war, es war keine komplett andere Welt wie Tarcania. Ich fühlte mich überfordert und das sollte nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich mich in Tarcania verloren fühlen würde.
Mira schien meine Gedanken zu erahnen. „Komm, wir schaffen das gemeinsam. Deine Hände werden den Kelch formen, aber ich werde sie führen. Doch zuerst musst du den Ton kneten.“ Sie zwinkerte mir zu und ich fasste neuen Mut.
Ich tauchte meine Hände in das Wasser, das neben der Scheibe stand, nahm den Klumpen zwischen meine Hände und begann ihn zu kneten. Das erinnerte mich an meine Kindheit, als ich mit meiner Mutter an Weihnachten Plätzchen gebacken habe. Da durfte ich ihr helfen und ich sah ihre schmalen Hände vor mir, wie aus dem unförmigen Teig eine Kugel entstand.

Es dauerte nicht lange, da war der Ton weich und geschmeidig. Ich formte eine glatte Kugel und legte sie auf die Mitte der Töpferscheibe. Ich setzte mich, Mira hinter mich und ich begann, die Scheibe mit dem Pedal in Bewegung zu bringen.
„Gut so, achte darauf, dass die Geschwindigkeit gleich bleibt. Finde deinen einen Rhythmus und behalte den bei. Das gilt übrigens nicht nur für´s Töpfern“ grinste Mira.
Ich legte meine Hände um die Tonkugel und Miras Hände umschlossen meine. „Drücke mit beiden Händen auf den Tonballen, um ihn zu zentrieren. Halte den Druck gleichmässig, während du den Ton nach oben und nach unten bewegst. So entsteht eine kleine dicke Säule.“ Ich folge ihren Anweisungen und liess mich von ihren Händen führen.
„Und nun drücke mit einem Daumen in die Mitte des Tonklumpens eine Vertiefung. Halte mit der linken Hand den unteren Teil des Tons fest und ziehe mit der anderen Hand von unten nach oben, um die Wände des Bechers zu formen.“ Während mir Mira sagte, was ich tun sollte, führten ihre Hände meine und so entstand langsam aber sicher ein Becher.
Ich tauchte meine Hände immer wieder ins Wasser, damit der Ton geschmeidig blieb und glatter wurde.
Nachdem er eine angenehme Höhe erreicht hatte, glätteten wir den Rand und ich stoppte langsam die Scheibe.
„Du hast das sehr gut gemacht, meine Liebe.“, lobte mich Mira. Ich lächelte und wusste, ohne sie hätte das Ergebnis nur sehr entfernt Ähnlichkeit mit einem Trinkgefäss gehabt. „Ich danke dir sehr für deine Unterstützung.“ antwortete ich. „So, nun trennen wir noch den Becher mit einer Schnur von der Scheibe und lassen ihn trocknen. Dann wird er gebrannt, glasiert und ein weiteres Mal gebrannt. Das wird bis morgen dauern. Komm zur vierten Nachmittagsstunde wieder, dann wird dein Becher fertig sein.“
„Das geht so schnell? Ich dachte, das alles dauert mehrere Tage.“ wunderte ich mich. Mira nickte. „In Tarcania haben wir einen besonderen Ton…. Und ein wenig Magie. Du willst doch nicht vor Leonora mit leeren Händen treten oder?“
Ich schüttelte den Kopf. Natürlich wollte ich das nicht! Ich wollte mich würdig zeigen und nicht schon bei den ersten Aufgaben versagen.
Ich bedankte mich herzlich bei Mira und drückte sie. „Wo ist S…Kelo?“ Fast hätte ich mich verplappert. An den öffentlichen Namen musste ich mich tatsächlich noch gewöhnen…
„Kelo?“ fragte Mira nach. „Ja, mein kleiner schwarzer Kater.“ „Ah, ihn meinst du. Ich glaube, ich habe ihn hinten bei den Brennöfen gesehen. Dort ist es angenehm warm, das lieben Katzen.“
Ich ging hinter und da lag tatsächlich Socks, völlig entspannt, nur seine linke Vorderpfote zuckte ein wenig. Er träumte wohl gerade von der Mäusejagd. Ich strick ihm sanft über sein Köpfchen und er öffnete verschlafen die Augen. „Bist du endlich fertig? Ich habe Hunger und bald ist Essenszeit. Wir müssen zurück in die Gilde.“ maunzte er mich an, bevor er sich genüsslich streckte.
Ich verabschiedete mich von Mira und machte mich mit Socks auf den Weg zurück zur Gilde, die ich langsam als mein Zuhause zu akzeptieren begann.
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